„Es geht darum, die Gesellschaft zu spalten“

Zwei Personen mit bunten Kleidern und Fächern in einem Wagen beim Christopher Street Day; im Hintergrund weitere Personen, eine Regenbogenfahne sowie Gebäude.
Thomas Lohnes/Getty Images
Christopher Street Day dieses Jahr in Frankfurt am Main: Sexuelle und kulturelle Diversität ist mächtigen Interessengruppen ein Dorn im Auge.
Backlash
Dreißig Jahre nach der Internationalen Frauenkonferenz in Peking, bei der sich die Weltgemeinschaft unter anderem zu echter Gleichstellung der Geschlechter, zur Beendigung sexueller Gewalt gegen Frauen und zu mehr politischer Teilhabe von Frauen bekannt hat, werden heute viele dieser Errungenschaften oder deren Umsetzung infrage gestellt oder zurückgedreht. Jerker Edström, der das Programm „Countering Backlash“ leitet, erklärt, wie es zu solchen Rückschlägen kommt und wer sie vorantreibt.

Jerker Edström ist leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Entwicklungsstudien (IDS) in ­Brighton (Großbritannien). Er leitet das ­Programm „Countering Backlash“.

Sie arbeiten an dem Programm „Countering Backlash“. Worum geht es dabei? 
Wir arbeiten mit Uganda, Kenia, Indien, Bangladesch, Brasilien, dem Libanon und der Türkei zusammen und forschen an Rückschlägen gegen die Gleichberechtigung der Geschlechter. Wie werden etwa politische Maßnahmen für Gleichberechtigung rückgängig gemacht oder zumindest untergraben oder verwässert? Und wie kann die Zivilgesellschaft, wie können feministische oder Menschenrechtsgruppen diesem Backlash entgegentreten? Wir beobachten gerade in vielen Ländern der Welt einen solchen Backlash. Das Programm gibt es seit sechs Jahren, es wird vom schwedischen Institut für Entwicklungszusammenarbeit (SIDA) finanziert.

Welche Ursachen für solche Rückschläge gibt es? 
Man muss diese Gegenreaktionen im Kontext der multiplen Krisen sehen: Klimakollaps, sich wandelnde geopolitische und ökonomische Strukturen. Für viele Menschen gerade in reicheren Ländern wie Deutschland, den USA und Großbritannien verschlechtern sich persönliche und wirtschaftliche Aussichten. Sie haben das Gefühl, dass ihre Position in bestehenden Strukturen und Machtverhältnissen bedroht ist. Diese existenzielle Angst um die Zukunft wird instrumentalisiert, um Menschen zu manipulieren und gegen Minderheiten zu mobilisieren. Der Grund des Backlash ist nicht, dass die Gleichberechtigung zu weit geht. Letztlich nutzen die mächtigen Interessengruppen Argumente zu Geschlechterfragen, um andere Vorhaben voranzutreiben.  

Wo und welche Vorhaben zum Beispiel?  
Oft geht es darum, Minderheiten oder Migranten als Gefahr darzustellen und damit die Gesellschaft zu spalten – und dadurch am Ende eigene Interessen in einer volatilen, sich verändernden Welt zu sichern. In Indien spricht beispielsweise die regierende BJP unter Premier Narendra Modi von der „Hindunation“, obwohl dort ja auch Sikhs, Muslime, Christen und andere Religionsgruppen leben. In den USA werden Migranten aus Lateinamerika dämonisiert und angegriffen. Und in Afrika sieht man westlichen Einfluss oder Vorstellungen von Familie als Bedrohung an. In einigen westlichen Ländern wird darüber diskutiert, ob Transfrauen Frauentoiletten benutzen dürfen. Es ist sicher nicht das drängendste Problem, das wir zurzeit haben. Und die meisten Frauen hätten es nie als Problem betrachtet, wenn es nicht dazu gemacht würde.

Warum beziehen sich verschiedene Gruppen beim Backlash so stark auf traditionelle Werte und überkommene Geschlechterrollen? 
Obwohl es um „mehr als Geschlecht“ geht, sind diese Gegenreaktionen immer noch patriarchalisch sowie rassistisch und klassenbezogen. Die Bereiche Familie und Nation sollen sozusagen repariert werden, um in Krisenzeiten wieder Ordnung zu schaffen. Die Rechtsnationalisten wollen nicht, dass ihr Volk durch ausländisches Blut verunreinigt wird. Die traditionelle Familie ist die Verkörperung der Bibel oder jeder anderen monotheistischen Religion. Glaube und Identität kommen sozusagen in der Familie zusammen. Frauen werden als Beschützerinnen der Kultur und der Kinder gesehen, Männer als der physische Beschützer der Familie. Dies liefert auch eine Rechtfertigung dafür, dass Religion sich in die Politik einmischt. In Indien etwa hat das Regime viele Menschen überzeugt, dass die „indische Maskulinität“ in der Krise sei, Familien auseinanderbrechen würden und muslimische Männer eine Bedrohung für Hindufrauen seien. In Bangladesch und Pakistan, mit vorwiegend muslimischer Bevölkerung, ist die Erzählung umgekehrt, dort werden die Hindus als Feinde dargestellt. 

Auch Uganda ist ein gutes Beispiel für den großen Einfluss von Religion auf Politik, oder? 
Ja. Uganda zeigt eindrucksvoll, wie mächtig Eliten und Interessengruppen sind und wie sehr die politische Führung an der Macht klebt. Sie konnten das über Jahre durchhalten, weil sie sich immer auch als recht progressiv gezeigt haben, es wurde zum Beispiel eine geschlechtergerechte Verfassung verabschiedet. Gleichzeitig wurden die Eliten von ugandischen religiösen Gruppen unterstützt und diese wiederum von mächtigen religiösen Gruppen aus den USA, etwa Family Watch International – mit Ressourcen und Strategien. Diese Gruppen haben über eine Dekade lang gegenüber der Regierung gegen Homosexualität lobbyiert. Und die Regierung hat am Ende ihren eigenen Nutzen daraus gezogen und 2023 das Antihomosexualitätsgesetz verabschiedet.  
Uganda ist übrigens ein gutes Beispiel dafür, wie Interessengruppen transnational zusammenarbeiten, obwohl die Akteure des Backlash ja immer die eigene Nation in den Vordergrund stellen und alles Fremde als Gefahr darstellen. Das ist einer der Widersprüche, auf die wir immer wieder hinweisen. 

Wer treibt diese Backlashs voran?
Es gibt da viele verschiedene Akteure, deswegen haben wir es mit einem Schachspiel verglichen. Die antifeministischen Gruppen, die sogenannte Manosphere, aber auch illiberale zivilgesellschaftliche Organisationen vergleichen wir mit Bauern beim Schachspiel. Sie sind zwar die größte, aber die schwächste Gruppe. Sie sind die Opportunisten, die folgen. Als Könige und Damen gelten patriarchalische, populistische und autoritäre Führer wie Donald Trump, Wladimir Putin, Narendra Modi oder Viktor Orbán, aber auch angehende Diktatoren. Zu den Läufern zählen wir religiöse Fundamentalisten, als Springer gelten ethnonationalistische und rassistische Bewegungen, aber zum Beispiel auch Waffenlobbyisten in den USA. Als Türme sehen wir die Hyperkapitalisten, Aristokraten und Wirt­schafts­eliten, auch sie haben großen Einfluss auf diese Politik.

Warum kommt gerade in der heutigen Zeit diese rückschrittliche Bewegung so gut an? 
Gegenwind gegen Fortschritte gab es schon immer, aber wir hatten eine relativ ruhige Phase nach dem Zweiten Weltkrieg. Viele Länder haben sich weiterentwickelt und es gab Fortschritte, vor allem für Frauen, aber auch für sexuelle Minderheiten. Es gab die Bürgerrechtsbewegung. Dann folgten vierzig Jahre neoliberale Politik seit den späten 1970ern. Die Zukunft schien garantiert, wenn wir nur den Markt regieren lassen. Aber das hat für viele nicht funktioniert. Das Gefühl, betrogen worden zu sein, hat zu Unzufriedenheit geführt. Nun sind diese Schachspieler im Hintergrund sehr gut darin, Meinungen zu steuern und sich mit Populisten zu verbünden, indem sie unwichtige Dinge skandalisieren wie Toi­letten für Transpersonen. Und obwohl es gar nicht den Alltag der Leute betrifft, schaffen sie es damit, Menschen zu mobilisieren und gegen Minderheiten aufzubringen. Die Situation heute erinnert an den Aufstieg des Faschismus in den 1920er Jahren.

Was kann man gegen den Backlash tun? 
Am wichtigsten ist, zu erkennen, dass wir in diesem Kampf nicht allein sind und Allianzen schmieden müssen. Feministinnen, Migranten, religiöse oder sexuelle Minderheiten sowie Vertreter der Demokratiebewegung, Menschenrechtsaktivisten und Gruppen für Klimagerechtigkeit haben alle dieselben Feinde. Aber sie sind bis jetzt nicht gut darin, sich gegen sie zu verbünden. Wir müssen versuchen, der Spaltung, dem Hass und den Schwarz-Weiß-Erzählungen in öffentlichen Debatten entgegenzutreten. Viele Leute haben ja keine bösen Absichten, wenn sie Populisten glauben, sie engagieren sich einfach nicht. Mit hoffnungsvolleren Narrativen können wir dieser Unzufriedenheit und der Wir-gegen-die-Rhetorik entgegentreten. Und wir müssen verstehen, wie die einzelnen Akteure ticken. Mit den Kapitalisten muss man anders umgehen als mit religiösen Führern. Je besser wir die unterschiedlichen Dynamiken verstehen, desto besser können wir Gegenstrategien entwickeln. Auch der Weg über Gerichte gehört zu den Strategien, dafür gibt es Beispiele aus Brasilien oder Bangladesch. Und man darf nicht vergessen, dass nicht alles schlecht ist. Während wir viel über die Antihomosexualitätsgesetze in manchen afrikanischen Ländern hören, gibt es gleichzeitig viele andere Länder dort, die Fortschritte in der Anerkennung von sexuellen Minderheiten gemacht haben. Es gibt nicht nur Schwarz oder Weiß.  

Das Gespräch führte Melanie Kräuter.

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erschienen in Ausgabe 5 / 2025: Gelebte Vielfalt
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