Strafrecht mit politischem Kalkül


Der Internationale Strafgerichtshof erhält bald einen neuen Chefankläger: Im Dezember wird über die Nachfolge von Luis Moreno-Ocampo entschieden. Der Argentinier hat das Amt seit Mitte 2003 inne und musste sich mehrfach vorwerfen lassen, mit dem Strafrecht Politik zu machen. Das liegt zum Teil daran, dass er gezwungen ist, zwischen widerstreitenden Interessen politisch zu lavieren.

Der Internationale Strafgerichtshof IStGH soll Verantwortliche für schwerste Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft ziehen, wenn nationale Gerichte das nicht wollen oder können. Sein Chefankläger kann Fälle vorschlagen und entscheiden, gegen welche Verdächtigen er ermittelt. Moreno-Ocampo wird vorgeworfen, dabei die Prinzipien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit verletzt zu haben – zum Beispiel weil er nur gegen Afrikaner ermittele.

Autor

Bernd Ludermann

ist Chefredakteur von "welt-sichten".

In der Tat behandelt der IStGH bisher nur Fälle in Afrika. Doch das hat nichts mit Neokolonialismus zu tun. Das Gericht ist in seinen ersten drei Fällen – Kriegsverbrechen im Ostkongo, in der Zentralafrikanischen Republik und in Norduganda – von den Regierungen dieser Länder selbst gerufen und im Fall Darfur (Sudan) und zuletzt Libyen vom UN-Sicherheitsrat eingeschaltet worden. Nur die Fälle Kenia und demnächst wohl Cote d’Ivoire hat Moreno-Ocampo von sich aus eröffnet. In Sri Lanka oder Myanmar kann er das nicht, weil diese Länder – anders als die Mehrheit der afrikanischen – die Jurisdiktion des IStGH nicht akzeptieren und der UN-Sicherheitsrat nicht einschreitet.

Auch gegen wen der Ankläger ermittelt, unterliegt politischen Zwängen: Er muss die Nützlichkeit des IStGH demonstrieren – für die 118 Staaten, die ihm angehören und das Gericht finanzieren, aber auch für Großmächte und speziell die USA, die den IStGH ablehnen. Er ist auf ein Mindestmaß an Kooperation mit den Behörden des Landes angewiesen, in dem er ermittelt. Und wenn er in laufenden Konflikten tätig wird – das ist die Regel –, muss er bedenken, ob Anklagen die Chancen einer Verhandlungslösung mindern.

Moreno-Ocampo musste also Kompromisse machen. Zuweilen ist er aber sehr weit gegangen. So hat er im Ostkongo nur Milizen in den Blick genommen und die Rolle der Armee sowie der Nachbarstaaten Uganda und Ruanda ausgeblendet. Im Fall Darfur hat er den Antrag auf Haftbefehl gegen Sudans Staatschef Omar al-Baschir voreilig veröffentlicht. Dennoch konnte der IStGH in Kenia und vielleicht auch im Kongo zur Bekämpfung von Straflosigkeit beitragen. Auch mit dem besten Ankläger wird er weiter nur selektiv Recht sprechen – Ermittlungen gegen Großmächte sind schwer vorstellbar. Doch alle Verbrecher straflos zu lassen, weil sich manche dem Gesetz entziehen, wäre weder ein Gebot der Gerechtigkeit noch im Interesse der Opfer.

 

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erschienen in Ausgabe 10 / 2011: Globalisierung: Auf dem Weg zur Einheitskultur?
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