Wenn Männer Kinder­träume haben

Zum Thema
Rojava
Glaubt man manchen Journalisten, dann entsteht in den Kurden­gebieten Nordsyriens ein basisdemokratisches Paradies. Warum lassen sie sich von einer autoritären Kaderpartei derart hinters Licht führen?

So mancher Journalist und Politiker überschlägt sich derzeit vor Begeisterung über Rojava, das von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) kontrollierte Gebiet in Nordsyrien. Spätestens seit die Miliz der PYD Anfang 2015 mit Hilfe amerikanischer Luftschläge den Islamischen Staat (IS) aus der syrisch-kurdischen Stadt Kobane vertrieben hat, gilt Rojava – deutsch „Westen“ – als basisdemokratisches Paradies, das Gegenmodell zum IS, ein Beispiel für ganz Syrien. Dort, so etwa der Journalist Wes Enzinna im "Philosophie Magazin", werde „ein Gesellschaftsmodell erprobt, dessen Grundpfeiler Umweltschutz, direkte Demokratie und die Gleichberechtigung der Frau seien“. Eine „dezentrale Räterepublik nach griechisch-antikem Vorbild“.

Etwas vorsichtiger formuliert Alfred Hackensberger in der „Welt“: „Im Vergleich zum restlichen Syrien, in dem nur Gewalt und Willkür herrscht, muss man dieses politische System als Erfolg bezeichnen. Alle ethnischen und religiösen Gruppen sind in den Regierungen nahezu gleichberechtigt vertreten, obgleich die kurdische Partei der PYD nach Ansicht von Beobachtern versuche, als Vertreter der Bevölkerungsmehrheit und der größten Miliz das Bündnis zu dominieren.“

Leider sind die Ansichten der bei Hackensberger zitierten Beobachter nicht von der Hand zu weisen. Die PYD ist der syrische Arm der türkisch-kurdischenArbeiterpartei PKK. Im September 2011 stellte deren iranischer Arm den bewaffneten Kampf gegen den Iran ein. Zur selben Zeit wurden PKK-Kader nach Syrien entsandt, um dort die Miliz der PYD aufzubauen und das syrische Regime zu stützen. Letzteres zeigte sich erkenntlich und überließ der PYD ab Mitte 2012 kampflos die überwiegend kurdischen Gebiete Syriens – Dschazira, Kobane und  Afrin. Im Januar 2014 wurde dort die Gründung von drei „Kantonen“ ausgerufen.

Wie in früher in sozialistischen Staaten

Die Bezeichnung „Autonome Demokratische Selbstverwaltung“, welche die PYD für das von ihr verwaltete Gebiet gewählt hat, führt freilich in die Irre. Die PYD ist wie die PKK eine straff organisierte Kaderpartei. Alle wichtigen Funktionen in der PYD haben PKK-Funktionäre inne. Grundlegende Entscheidungen werden von der Militärführung der PKK getroffen, die im irakisch-kurdischen Kandil-Gebirge sitzt. Die zahlreichen lokalen PYD-Gremien dienen nicht der demokratischen Entscheidungsfindung, sondern der Kontrolle der Bevölkerung. Wer sich nicht einbinden lässt, ist verdächtig. Das Demokratieverständnis von PYD und PKK entspricht dem Modell der „Volksdemokratie“ der früheren sozialistischen Staaten: Es gibt eine führende Partei, alle anderen Gruppierungen haben sich unterzuordnen.

Entsprechend sind die PYD-kritischen Parteien des Kurdischen Nationalrats – ein Zusammenschluss von zwölf syrisch-kurdischen Parteien – weder in die Verwaltung in Rojava noch in das Parlament eingebunden. Unabhängige Aktivisten und Journalisten sowie Mitglieder oppositioneller kurdischer Parteien werden entführt und gefoltert. Verbote PYD-kritischer Demonstrationen sind ebenso an der Tagesordnung wie Angriffe auf Parteibüros. Zwangsrekrutierungen gehören zum Alltag, und seit 2012 sind über 30 politische Kritiker der PYD ermordet worden.

Was macht dann Rojava so attraktiv, vor allem für männliche Journalisten aus dem Westen? Ein Aspekt, der immer wieder ins Feld geführt wird, ist die angebliche Gleichstellung der Geschlechter in PKK und PYD. Tatsächlich werden beide nicht müde, Fotos junger, hübscher Kämpferinnen zu veröffentlichen – manchmal mit, manchmal ohne männliche Mitstreiter, aber immer mit einem Lächeln, als sei der Krieg ein fröhliches Ferienlager.

Wie in einem Abenteuer fühlen sich vermutlich auch Journalisten, die mit der PYD nach Syrisch-Kurdistan reisen. Zitat Enzinna: „Ein Milizionär mit Kalaschnikow fährt uns eine zerfurchte Straße entlang, gesäumt von ausgedörrten braunen Hügeln und Bohrtürmen… Alle 20 Kilometer werden wir von Polizisten in grünen Tarnanzügen angehalten und kontrolliert.“ Das ist genug Wilder Westen, um einen Adrenalinschub zu erleben, aber nicht zu viel echte Gefahr, denn die Milizen der PYD sind ja 24 Stunden am Tag da, um die Beobachter zu beschützen. Wie viel unabhängige Recherche ist unter diesen Bedingungen wohl möglich?

Die weiblichen Ko-Vorsitzenden kennt fast niemand

Doch dürfen die Frauen in der PKK und PYD noch etwas anderes, als im heroischen Kampf gegen den IS zu sterben? Selbstverständlich, ruft der begeisterte Journalist: Alle Positionen in Rojava und in der PYD sind mit einem Mann und einer Frau besetzt! Leider hat das Argument seine Schwächen. Zum einen liegt die Entscheidungsgewalt in der PKK bei der militärischen Führung in Irakisch-Kurdistan – die Führung der PYD und die Regierung von Rojava, ob Mann oder Frau, sind nicht mehr als Befehlsempfänger. Zum anderen sind der Öffentlichkeit die männlichen Vorsitzenden der diversen PKK-Organe bekannt; jeder begeisterte Rojava-Anhänger kennt ihre Namen. Die weiblichen Ko-Vorsitzenden hingegen kann fast niemand nennen. Reiner Zufall?

Für geneigte westliche Journalisten ist die kurdische Kämpferin der Beweis, dass im kriegszerstörten Syrien, nein, dass im gesamten Nahen Osten wenigstens eine Gruppe zu den „Guten“ gehört. Nichts als Kinderträume: Wer eine klare Einteilung in Gut und Böse braucht, halte es besser mit Star Wars. Der Journalist aber meint, die Region sei wenigstens nicht ganz verloren. Auch wenn der neue kurdische Mann vielleicht noch nicht ganz perfekt ist, die neue kurdische Frau ist es, und der Mann aus dem Westen ist bereit, sich mit ihr zu identifizieren und sie gegen alles Schlechte zu verteidigen.

Autorin

Eva Savelsberg

ist Mitarbeiterin der Internetseite www.kurdwatch.org, die sich mit der politischen Lage der Kurden in Syrien befasst
Die kurdische Kämpferin wiederum verbündet sich mit dem westlichen Mann, indem sie dessen Frau herabsetzt. Wes Enzinna zitiert eine 24-jährige Kommandantin, die auf die Frage, ob sie denn keine Angst vor dem Tod habe, antwortet: „Warum sollte ich? Märtyrer zu sein ist das Beste, was es gibt. Angst ist etwas für eure westlichen Frauen in ihren Küchen.“ Und welcher Mann hilft schon gerne in der Küche, wenn es Abenteuer zu erleben gibt? So fällt nicht ein kritisches Wort, dass die Truppe, die von Deniz Derik kommandiert wird, aus Mädchen zwischen 14 und 21 Jahren besteht, wie Enzinna selbst schreibt. Wen interessiert schon, dass die Rekrutierung von Kindern unter 15 Jahren ein Kriegsverbrechen darstellt, wenn doch Rojava gefeiert werden soll?

Und feiern können sie auch in Rojava, das wiederum weiß Alfred Hackensberger: „Im Casino Cheime wird jede Nacht gesungen, getanzt und viel getrunken… Nachdem sich auch der letzte Disco-Gast wankend auf den Heimweg gemacht hat, öffnen wenige Stunden später Geschäfte und Cafés... Hier verläuft das Leben so, als gebe es keinen Bürgerkrieg.“

Neben der von der PYD virtuos ausgespielten Frauenkarte mag ein weiterer Aspekt, zumal in Deutschland, zur Verklärung „Rojavas“ beitragen. „Die Deutschen hatten selbst kaum Revolutionen“, sagte kürzlich eine EU-Abgeordnete in einer Diskussion zu Syrisch-Kurdistan. Da muss die Sehnsucht nach dem Aufstand eben anderswo befriedigt werden. Wenn es sein muss, auf Kosten zwangsrekrutierter Kinder.

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Die Autorin reiht einfach hasserfüllte Argumente gegen die PYD einander und lässt alles Positive außer Acht. Obwohl manche ihrer kritischen Argumente richtig sind, liest sich der ganze Artikel wie eine Herabwürdigung der PYD.

Antwort auf von Jonas (nicht überprüft)

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Die Autorin reit einfach hasserfüllte Argumente gegen die PYD einander und lässt alles positive außer Acht. Obwohl manche Ihrer kritischen Argumente richtig sind, ließt sich der ganze Artikel wir eine Herabwürdigung der PYD.

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Ja, das journalistische Niveau ist verdammt tief. Meinungsmache. Kaum Rekurs auf Geschehnisse. An Links zu fundierter Kritik an der YPG hätte ich aber Interesse...

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Es ist interessant, dass es auch kritische Kommentare Seitens der Autorin gibt gegen die PYD. Solche Sichtweisen sind in jeder Demokratie willkommen. Trotzdem finde ich die hier dargestellte journalistische Leistung eher schlecht, und ich würde mir als Kurde wünschen, dass die Autorin aufhört Kurdologie zu praktizieren.
Es gibt sicherlich viel an der PYD zu kritisieren und ich habe auch selber Kritik von PYD-feindlichen Kurden in Rojava gehört zum Thema Zwangsrekrutierung und ähnlichem. Dennoch sind die Argumente die hier präsentiert werden über-negativ und teilweise sogar falsch. Z.B. dass die PYD mit Assad eng zusammen arbeiten würde, stimmt einfach nicht. Was ist mit militärischen Auseinandersetzungen zwischen der PYD und Assads Armee in Quamislo? Viele PYD-Abgeordnete haben Assad einen Mörder genannt. Außerdem verstehe ich nicht, warum Salih Muslim hier als Schein-Verbrecher dargestellt wird. Auch hat die PYD mit Human Rights Watch aktiv daran mitgearbeitet, Kindersoldaten aus den eigenen Reihen zu verbannen.
Zusammenfassend ist die journalistische Leistung der Autorin relativ fragwürdig und gleicht eher Hetzte als einem neutralen Bericht. Genauso gut könnte ich einen Artikel schreiben, wie schlimm Deutschland Ausländer behandelt und, dass Assylbewerber hier nicht sicher sind aufgrund von Inbrandsetzungen der Asylheime. Auch das hätte wenig mit Kritik zu tun und wäre einfach nur Hetze so wie in diesem Artikel über die PYD.

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Guten Tag,

ich hatte die Gelegenheit den oben genannten Artikel von Eva Savelsberg zu lesen. Die Frau Savelsberg arbeitet für Kurdwatch, die von der KRG (und damit der PDK) finanziert wird, darauf machen Sie an verschiedenen Publikationen/Stellen auch aufmerksam. Also eine Organisation/Partei, die mit der YPG/PYD ideologisch nicht "freundlich" gesinnt ist.

Daher einen Artikel von Frau Savelsberg auf diesem Niveau (vor allem das Bild) auch mit Unwahrheiten zu veröffentlichen, hat nichts mit kritischem Journalismus zu tun. An einem Krieg gibt es immer genug zu kritisieren, aber solche Artikeln ermöglichen nicht eine kritische Diskussion, sondern missbrauchen solche Platformen für Ihre politischen Machenschaften und verunreiningen die tatsächliche nötigen kritischen Diskussion. Es werden in dem Artikel auch Unwahrheiten verbereitet, z.B. die kurdischen Kämpfer in Iran hätten sich aufgelöst, um nach Syrien zu gehen. Das finden Sie auch mit einfachen Recherchen heraus.

Mit der Hoffnung auf eine sachliche Auseinandersetzung möchte ich Ihnen frohes Schaffen wünschen.

Viele Grüße
Ben Soyadi

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erschienen in Ausgabe 6 / 2016: Neue Chancen für die Kurden
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