„Wir verschärfen den Konflikt“

Bundeswehr in Mali
Mehrere Afrika-Fachleute zweifeln am Sinn der Einsätze in Mali. Helmut Asche erklärt, wie man im Sahel wirklich helfen könnte.

Herr Asche, die Bundesregierung will den Einsatz der Bundeswehr in Mali verlängern; der Bundestag wird demnächst darüber entscheiden. In einem Papier, dass Sie gemeinsam mit anderen Afrikanisten und Kennern der Region erstellt haben, kritisieren Sie die Einsätze. Sollten die Mandate nicht verlängert werden?
Ich bin nicht dafür, dass die Bundeswehr übermorgen aus Mali und den Sahel-Ländern abzieht und die Missionen sofort beendet werden. Ich sage aber, dass es unter den gegebenen Bedingungen keinen Sinn macht, die Missionen längerfristig fortzusetzen und auszuweiten. Zum einen aus Gründen, die mit dem Sicherheitssektor in den Ländern zu tun haben, zum anderen aus dem noch wichtigeren Grund, dass die Zusammenarbeit mit der zivilen Hilfe – der sogenannte vernetzte Ansatz – in der Region nirgendwo funktioniert.

Gilt das gleichermaßen für die UN-Mission MINUSMA, den Ausbildungseinsatz EUTM der Europäischen Union und die französische Anti-Terror-Mission Barkhane?
Unter anderen Umständen könnten alle drei Missionen sinnvoll sein. Aber es sind sich praktisch alle Fachleute einig, dass die Interventionen nicht erfolgreich sind, weil sich die Armeen in Mali, im Niger und in Burkina Faso Teile der Bevölkerung selbst zum Feind machen. Sie operieren in den Konflikten dort straflos mit ethnischen Tötungen, vor allem von Menschen, die vermeintlich Angehörigen der Fulbe und der Tuareg sind. Wir stellen uns damit an die Seite von Armeen, die Konflikte bewusst verschärfen. Ich sage bewusst, weil es offensichtlich in allen drei Ländern Kräfte gibt, die an der Ethnisierung der Konflikte durch den Einsatz von Armee und Milizen interessiert sind.

Das heißt, mit der militärischen Unterstützung gießen Deutschland, Frankreich und die Europäische Union zusätzlich Öl ins Feuer?
So ist es, wenigstens mit der einen Hand. Zudem hat etwa die malische Armee, also vor allem die Armeeführung und das höhere Offizierskorps, gar kein Interesse daran, das Gewaltmonopol im Lande wiederherzustellen und Konflikte zu beenden. Die Armee in Mali – und das gilt wohl auch für das Militär in Burkina Faso und im Niger – ist im Wesentlichen ein Instrument, um Finanzmittel und Hilfe aus dem Ausland einzustreichen. Deshalb funktioniert auch das Friedensabkommen von Algier der malischen Regierung mit einigen Tuareg-Gruppen im Norden des Landes aus dem Jahr 2015 nicht: Weder die Regierung noch diese Gruppen sind daran interessiert, dass das Abkommen umgesetzt wird. Der jetzige Schwebezustand hilft beiden Seiten, weiter Unterstützung zu fordern. Obendrein ist das Abkommen in sich umstritten. Das sagen alle Analysen übereinstimmend, nur bei den Bundestagsabgeordneten ist es noch nicht recht angekommen. In dieser Situation ist es geradezu surreal, die Militärintervention einfach fortzusetzen oder auszuweiten.

Wäre es etwas anderes, wenn sich afrikanische Staaten oder die Afrikanische Union stärker engagierten?
Das würde in die richtige Richtung gehen. Die Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten Ecowas hat in regionalen Konflikten bewiesen, dass sie erfolgreich vermitteln und militärisch vorgehen kann. AU und Ecowas stärker einzubeziehen, würde Sinn machen – aber wie mit Blick auf die laufenden Missionen nur dann, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern.

Wenn aber wichtige Kräfte in den Sahelländern selbst die Konflikte gar nicht beilegen wollen, was kann man dann überhaupt von außen erreichen?
Das ist die Eine-Milliarde-Euro-Frage. Ich sehe nicht, dass bereits eine Friedenslösung in Sicht ist, von der aus man weiterdenken könnte. Ich persönlich halte die Perspektive eines „Sahelistan“ leider für wahrscheinlicher, also eines Staatszerfalls wie damals in Afghanistan oder Somalia. Wenn das abgewendet werden soll, dann müssten hohe religiöse Würdenträger, die noch Autorität genießen und keine Islamisten sind, die Initiative ergreifen. Oder unbescholtene Amtsträger auf der regionalen Ebene. Und es gibt in allen Sahelländern immer noch einen unabhängigen und gut organisierten Teil der Zivilgesellschaft, an den man sich halten könnte, um einen ganz anderen nationalen Dialog als bisher mit der Regierung und einigen bewaffneten Gruppen in Gang zu bringen. Das sagen auch die Fachleute in der Region.

Und warum geschieht das nicht?
Der springende Punkt ist: Ohne weitreichende Garantien von außen – „whatever it takes“ – wird das nicht glaubwürdig sein, weil niemand wüsste, woher die Mittel kommen sollen, um den jungen Leuten kurzfristig Arbeitsangebote zu machen und flächendeckend die Schulen, Märkte, Gesundheitsstationen und Rathäuser wieder zu öffnen. Ich sage flächendeckend, und nicht in ein paar Wehrdörfern, wie es jetzt in der Diskussion ist, oder mit 21 typischen Einzelprojekten, wie auf der Geberkonferenz 2016 für Burkina Faso vereinbart. Wir schlagen in unserem Papier exemplarisch für Burkina Faso vor, dass nicht Frankreich, das zu stark kompromittiert ist, sondern Deutschland und andere EU-Länder diesen zivilgesellschaftlichen Kräften signalisieren: Was immer ihr zur Befriedung eurer Länder für zentral haltet und beschließt, etwa um jungen Leuten eine Perspektive zu geben: Wir sind bereit, das mitzutragen und durchzufinanzieren.

Aber auch das würde doch voraussetzen, dass die Regierungen und andere wichtige politische Kräfte in den Ländern mitmachen?
Ja, das funktioniert nur, wenn den Eliten der Länder wirtschaftliche Perspektiven unabhängig von Korruption und Kriegsgewinnen geboten werden, etwa eine konkurrenzfähige Baumwollwirtschaft, andere Zweige moderner Exportlandwirtschaft, ein wiederbelebter Tourismus oder ein neu organisierter Goldbergbau. Das setzt wiederum voraus, dass die EU ihre Handels- und ihre Migrationspolitik ändert. Es muss darum gehen, auch der Mittel- und Oberschicht andere Perspektiven zu geben, als ihre Länder auszuplündern. Das ist unsere Idee, wie ein „Sahelistan“ verhindert werden könnte. Von den Gesprächspartnern in den Sahelländern, bei denen wir uns Rat geholt haben, hat kein einziger gesagt, dass das völlig aussichtslos ist. Alle haben gesagt, eine große Lösung dieser Art bräuchte es.

Gibt es Reaktionen aus der Bundesregierung oder dem Bundestag auf Ihre Vorschläge?
Ich bin mit etlichen Abgeordneten im Gespräch, und überall gibt es das Gefühl, dass im Sahel etwas grundlegend schiefläuft. Die Bundestagsdebatte Mitte Mai zur Verlängerung der Mali-Mandate hat gezeigt, dass es offenbar keine Abgeordneten gibt, denen nicht mulmig ist. Unser Plädoyer ist, jetzt etwas zu tun und nicht wie im Falle Afghanistans zu warten, bis die Staaten zerfallen sind, und sich erst dann in großem Stil zu engagieren.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

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Gratulation Herr Helmut Asche! Eine sehr gute Analyse eines Afrikakenners. Ich wünschte, dass diesen Menschen mehr Instrumente zur Realisierung in die Hand gegeben werden, um vernünftige und längerfristige Lösungen gemeinsam mit den afrikanischen Akteuren zu erarbeiten. Dazu sind ein großer Tisch, ein langer Atem und viele Einzelgespräche notwendig. Aber ein friedlicher, wirtschaftlicher Erfolg wäre unbezahlbar wertvoll für den Kontinent!

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erschienen in Ausgabe 7 / 2020: Der Plan für die Zukunft?
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