Staatssekretärin Susanne Baumann unterstrich bei der Vorstellung der Strategie im Rahmen einer Podiumsdebatte in Berlin, 310 Millionen Menschen weltweit seien derzeit auf humanitäre Hilfe angewiesen. Deutschland bleibe global der zweitgrößte Geldgeber und werde seine Mittel zielorientierter und effizienter in enger Kooperation mit dem UN-System und nichtstaatlichen Hilfsorganisationen einsetzen. Zugleich solle humanitäre Hilfe stärker als Instrument zur Krisenbekämpfung genutzt werden.
Baumann musste aber auch Sorgen zu Zielkonflikten begegnen. Ursprünglich hatte der Text humanitäre Hilfe als „wichtigen geostrategischen Teil der deutschen Außenpolitik“ bezeichnet, was bei Hilfsorganisationen Befürchtungen auslöste, es solle künftig eher dort geholfen werden, wo die Bundesregierung sicherheitspolitische oder regionale Interessen verfolge – also eher in der Ukraine als im Kongo. Hilfsorganisationen wandten ein, humanitäre Hilfe habe nicht den Auftrag, der Migrations- oder der Sicherheitspolitik zu dienen. In der entschärften Endfassung der Strategie heißt es nun, humanitäre Hilfe sei ein „wichtiges Element“ der Außenpolitik und Teil der nationalen Sicherheitsstrategie.
Baumann betonte die Verpflichtung der humanitären Hilfe auf die Prinzipien Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit. Allerdings liege humanitäres Engagement auch „in unserem ureigenen Interesse“, sagte sie. Wenn Bedürftige in Konfliktregionen versorgt würden, ließe sich oftmals vermeiden, „dass sie sich auf den Weg nach Europa machen“. Bei wachsender Not und sinkenden Mitteln müssten Prioritäten gesetzt werden im Sinne einer besseren „Lastenverteilung“ und „Fokussierung auf Krisen, die Auswirkungen auf uns in Europa haben“, so Baumann. Deutschlands Budget für die internationale Nothilfe soll 2025 um mehr als die Hälfte auf noch etwa eine Milliarde Euro sinken – und wäre damit in vier Jahren um fast zwei Drittel geschrumpft. Eine Krise in Lateinamerika werde dabei für Deutschland weniger im Fokus stehen als für die USA und Kanada, sagte die Staatssekretärin.
Mehr Eigenverantwortung für lokale Partner
Auf drei Wegen will Deutschland laut der Strategie seine Hilfe effizienter gestalten: Zum einen liegt der Schwerpunkt auf humanitärer Diplomatie, die sichere Zugänge zu Hilfe schaffen soll, etwa wie derzeit in Gaza. Zum anderen soll das internationale Hilfssystem weiterentwickelt werden: Lokale Organisationen sollen zügiger als bisher mit mehr Eigenverantwortung Krisenhilfe leisten können, statt mit internationalen Hilfsorganisationen Parallelstrukturen aufzubauen – ein Ziel, das sich die internationalen Geber bereits vor acht Jahren gesetzt haben. Zudem will die Bundesregierung Klimaschutz und Friedensförderung in der humanitären Hilfe von Anfang an stärker mitdenken. Großes Sparpotenzial wird in vorausschauender Hilfe gesehen sowie darin, Geflüchteten in Langzeitlagern mehr Möglichkeiten zu geben, ihren Lebensunterhalt selbstständig zu bestreiten und unabhängiger von Nothilfe zu werden. Drittens schließlich soll sich die Bundesregierung mit ihrer humanitären Hilfe besser mit Partnerländern und Organisationen koordinieren, um die Fehlverwendung von Mitteln zu verhindern. „Wir wollen sicherstellen, dass humanitäre Hilfe dort ankommt, wo sie am meisten gebraucht wird“, heißt es in der Strategie.
Ralf Südhoff, Direktor des Center for Humanitarian Action in Berlin, findet dennoch, die Strategie verdiene ihren Namen nicht, weil sie „keine strategische Ausrichtung“ vorgebe. Die Bundesregierung habe die Chance vertan, Reformen voranzutreiben. Zugleich gefährde die „magere finanzielle Ausstattung“ der humanitären Hilfe Deutschlands guten Ruf als verlässliche Gebernation.
"Keine Tiefe, politisch zu breit"
Der neue Rahmen hätte einen klaren Fokus auf eine Handvoll Themen bringen sollen, sagt Südhoff – und eine Anleitung, was es in Zeiten von Mehrfachkrisen und steigender Not zu verändern gelte. „Das leistet diese Strategie nicht.“ Statt in ausgewählten Bereichen in die Tiefe zu gehen, bleibe sie politisch zu breit. „Das ist fatal, denn das können vielleicht die USA leisten, aber nicht eine Bundesregierung, die sich nicht die Mittel gibt, alle Felder ernsthaft zu bespielen.“ Die personellen Kapazitäten des Auswärtigen Amts seien „absurd gering“, sagt Südhoff; die Amerikaner setzten im Verhältnis zu ihrem Budget viermal mehr Personal ein, die EU-Kommission sogar neunmal mehr.
Auch Anica Heinlein, Vorständin von Venro, der Dachorganisation entwicklungspolitischer und humanitärer Hilfsorganisationen, bemängelte, keine noch so gesteigerte Effizienz könne die zu erwartenden Kürzungen ausgleichen. Damit stelle sich die Frage, wie viele der anvisierten Verbesserungen verwirklicht werden könnten. Begrüßenswert sei an der neuen Strategie, dass die „gender- und klimasensible Projektorientierung von humanitären Vorhaben“ deutlicher werde und sie das Zielenthalte, 25 Prozent der humanitären Hilfe „so direkt wie möglich“ über lokale Partner zu vergeben.
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