Herr Blimpo, mit ihrer Mission 300 wollen die Weltbank und die Afrikanische Entwicklungsbank 300 Millionen Menschen in Afrika bis zum Jahr 2030 mit Strom versorgen und damit die Zahl der Menschen ohne Anschluss halbieren. Kann das gelingen?
Es ist ein ehrgeiziges Ziel, und ob es erreicht wird, hängt davon ab, wie viel Geld zur Verfügung steht. Angesichts der Tatsache, dass 40 Prozent der Afrikaner unterhalb der Armutsschwelle von drei US-Dollar am Tag leben, werden dafür sehr hohe staatliche Subventionen benötigt. Afrika allein wird dieses Geld nicht aufbringen können.
Ist das Ziel denn sinnvoll?
Die Intention von Mission 300 ist ehrenwert, denn der Zugang zu Elektrizität ist immer noch ein Riesenproblem in Afrika, selbst in relativ großen Volkswirtschaften wie Nigeria und Südafrika. Vor allem in ländlichen Regionen sind viele wirtschaftliche Aktivitäten nicht möglich, weil es keinen Strom gibt. Diesen Missstand auf die internationale Tagesordnung zu bringen, ist sehr wertvoll. Dennoch zielt der Ansatz in die falsche Richtung. Es sollte grundsätzlich um das Energiesystem auf dem Kontinent gehen und nicht nur darum, mehr Haushalte mit Strom zu versorgen. Denn das ändert nichts daran, dass diese Haushalte arm bleiben.
Die Logik von Mission 300 ist, dass mit dem Zugang zu Strom die Armut sinkt. Das funktioniert nicht?
Nein, nicht so, wie es bei Mission 300 formuliert ist. Die Weltgeschichte zeigt: Armut lässt sich nicht über einen Hebel beseitigen, sondern erfordert eine konzertierte Kraftanstrengung mit dem Ziel, wirtschaftliche Möglichkeiten zu schaffen. Die Leute brauchen Jobs und verlässliche Einkommen. Solche Möglichkeiten schafft man aber nicht dadurch, dass man ihre Häuser mit Strom versorgt. Wenn ich für meine Forschungsprojekte durch das ländliche Afrika reise, sehe ich oft, dass für viele Leute nicht Elektrizität an erster Stelle steht, sondern zum Beispiel ein Dach auf dem Haus, durch das es nicht reinregnet. Bei der Elektrifizierung geht es nicht nur um das Angebot, sondern auch um die Nachfrage. In Afrika liegen viele Haushalte in Reichweite des Stromnetzes, sind aber nicht angeschlossen. Warum? Weil sie es sich nicht leisten können. Wer genug Geld hat, sitzt nicht freiwillig im Dunkeln. Aber diese Haushalte haben keine geregelten Einkommen und müssen jeden Monat sehen, ob sie ihre Kinder zur Schule schicken können oder nicht. Es muss darum gehen, die Wirtschaft in der Stadt und auf dem Land zu stärken und Jobgelegenheiten zu schaffen. Wie kann Elektrizität dazu beitragen? Indem sie vor allem produktiv genutzt wird, in der Industrie oder der Verarbeitung landwirtschaftlicher Güter.
Der Zugang zu Strom muss sich also rentieren...
Richtig. Es geht schon sprachlich in die falsche Richtung, wenn gesagt wird, wir verschaffen den Leuten Zugang. Denn jemand muss die Investitionen bezahlen. Das wird oft ignoriert. Wenn ich Unsummen Entwicklungshilfe zur Verfügung habe, kann ich mir solche Geschenke vielleicht leisten. Das ist dann Wohltätigkeit. Die ist immer willkommen, aber darum geht es mir nicht. Mir geht es um die Zukunft der Länder in Afrika. Das Problem bei vielen Entwicklungsexperten ist, dass sie sich in ihrem Fachgebiet sehr gut auskennen und dieses eine Problem lösen wollen. Diejenigen, die sich mit dem Zugang zu Elektrizität befassen, sehen nur dieses eine Problem und wollen es lösen.
Was halten Sie von netzunabhängiger Stromversorgung, etwa über Mininetze – mini grids –, die mit Sonnenenergie gespeist werden?
Netzunabhängige Ansätze bieten Möglichkeiten, aber auch hier gilt: Man sollte vorher die wirtschaftlichen Bedingungen prüfen. Vor ein paar Jahren habe ich für eine Weltbank-Studie eine Gemeinde im Senegal besucht, wo die Bauern Zwiebeln angebaut und in der Hauptstadt Dakar verkauft haben. Die hatten in ihrer Kooperative solargetriebene Pumpen zur Bewässerung. Das hat sich rentiert, die Bauern haben ganz gut Geld verdient und konnten sogar etwas sparen, um weitere Farmen einzubeziehen. Hätten sie allerdings keine Zwiebeln angebaut, sondern ein anderes Produkt wie Mais, mit dem sich weniger Geld verdienen lässt, dann hätten sie die Pumpen nicht finanzieren können.
Also sollten auch Mininetze möglichst nur an Orten errichtet werden, wo der Strom gewinnbringend genutzt werden kann?
Ja, ansonsten wird es für arme Länder ein finanzielles Desaster. Langfristig rechnet sich Elektrifizierung immer, weil die gesamte Wirtschaft davon profitiert. Wenn man die erforderlichen Ressourcen hat, muss man sich deshalb nicht so große Sorgen machen, wenn sich eine Investition etwa in ein isoliertes Mininetz kurzfristig nicht rentiert. Afrika hingegen kann sich das schlichtweg nicht leisten. Meine Erfahrung ist, dass netzunabhängige Versorgung über Mininetze eher in stadtnahen Gebieten ohne Zugang zum Netz finanziell tragbar ist und nicht, wie häufig argumentiert wird, in sehr entlegenen ländlichen Regionen.
Müssen sich die Leute, für die sich das wirtschaftlich nicht lohnt, dann damit abfinden, dass sie keinen Strom kriegen werden?
Ich würde es so sagen: Wir brauchen starke, wachsende Wirtschaften, so dass in diese ländlichen Regionen investiert werden kann, etwa in die Gesundheitsversorgung, in bessere Schulen und in Infrastruktur wie Straßen. Die Ressourcen dafür werden vor allem in urbanen Zentren erwirtschaftet, um die es deshalb bei der Elektrifizierung vorrangig gehen muss. Wenn dann die Armut in ländlichen Regionen sinkt, können die Leute sich auch dort Strom leisten. Politiker versprechen vor Wahlen jedem Dorf, dass es Elektrizität bekommt. Meine Aufgabe als Ökonom ist es, darauf hinzuweisen, was das wirtschaftlich bedeutet, und häufig ist es der Weg in den finanziellen Abgrund.
Seit einigen Jahren boomen in Afrika kleine Solaranlagen – Solar Home Systems –, mit denen sich Lampen, Handyladegeräte und vielleicht noch ein Fernseher betreiben lassen. Was halten Sie davon?
Wenn Unternehmen solche Anlagen kommerziell verkaufen, habe ich prinzipiell kein Problem damit. Wenn die Leute Strom wollen und es sich leisten können, sollen sie sich ein Solarpanel auf dem Dach installieren. Als ich ein Kind war, hatten wir keinen Strom zu Hause. Wir haben Taschenlampen und Batterien gekauft. Solar Home Systems sehe ich als Erweiterung dieser Möglichkeit. Aber dieses Geschäft sollte nicht als Beitrag zur Elektrifizierung in Afrika gezählt und staatlich subventioniert werden. Das führt nur zu höherer Verschuldung, weil es sich nicht rechnet. Da sind wir wieder bei der Frage, was Vorrang haben sollte. Es muss darum gehen, die Armut zu reduzieren. Dazu müssen die Bedingungen für wirtschaftliche Aktivitäten verbessert und Jobs geschaffen werden. Darauf muss der Fokus liegen, nicht auf schönen und ans Herz gehenden Bildern von lächelnden armen Menschen mit Licht im Haus.
Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.
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