Suman Kumari steht mit vor Stolz leuchtenden Augen vor ihrer kleinen Schneiderei, die die 35-Jährige im abgelegenen Dorf Patratoli im Distrikt Gumla des indischen Bundesstaats Jharkhand betreibt. Noch vor einem Jahr hingen Wohl und Wehe ihres kleinen Betriebs von der unzuverlässigen Stromversorgung durch einen alten, lärmenden und qualmenden Dieselgenerator ab, die wegen steigender Treibstoffpreise ständig teurer wurde. Heute hält ein solarbetriebenes Ministromnetz ihr kleines Unternehmen in Schwung. Betrieben wird es von Rani Urja Mandala Mahila Samiti, einem lokalen Kollektiv ärmerer Frauen aus niedrigeren Kasten, unter dessen Regie die Stromversorgung besser denn je funktioniert.
Für Suman geht es um viel mehr als Energieversorgung: „Nun haben wir Strom bis zum späten Abend, ich kann also mehr Aufträge annehmen. Solarenergie ist billig und sauber. Ich fühle mich in meiner Gemeinschaft respektiert, weil ich dazu beitrage, dieses Projekt am Laufen zu halten“, sagt sie. Sie nimmt an den Versammlungen des Kollektivs teil, hilft dabei, die Verbrauchsabrechnungen zu erstellen, und lernt in Fortbildungen, das Netz zu warten und Pannen zu beheben. Suman ist ein Paradebeispiel für den tiefen gesellschaftlichen und ökonomischen Wandel, den die Revolution der dezentralisierten erneuerbaren Energie in Indien eingeleitet hat.
Diese Innovation bringt Menschen, die vom landesweiten Netz vernachlässigt wurden, saubere, erschwingliche und zuverlässige Energie. Ganz vorn mit dabei sind Unternehmerinnen aus unterprivilegierten Gemeinschaften. Sie leiten Initiativen wie Urja Mandala und nehmen an dem landesweiten Programm Powering Livelihoods teil, einem Gemeinschaftsprojekt einer nichtstaatlichen Organisation und einer politischen Denkfabrik, das von philanthropischen Organisationen unterstützt wird. Die Frauen bringen mit Hilfe der Solarenergie nicht nur Licht in die Häuser, sie beflügeln auch die Wirtschaft ihrer Gemeinden.
Mininetze mit weitreichenden Wirkungen
Die transformative Wirkung dieser Projekte reicht weit über reduzierte Stromkosten hinaus. Sie verringern die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, verbessern das Leben ganzer Gemeinden, helfen im Kampf gegen den Klimawandel und zeigen so, dass Energie ein Katalysator für gerechte Entwicklung sein kann.
Im Dorf Patratoli war die Inbetriebnahme eines mit Solarstrom betriebenen Mininetzes von 32,5 kW im Januar 2025 ein Meilenstein. Die Anlage wurde von der indischen Organisation Development Alternatives mit Unterstützung der Bank HSBC und einigen lokalen Organisationen aufgebaut. Verwaltet wird sie vom Kollektiv Rani Urja Mandala Mahila Samiti, das folgende Leitprinzipien hat: Dezentralisierung, Stärkung der Rolle der Frauen und Förderung nachhaltiger Lebensgrundlagen.
Von Frauen geführte Kollektive wie Rani Urja Mandala sind Eigentümer, Entwickler und Betreiber solcher Mininetze. Die Frauen sind in den Grundlagen der Wartung, des Stromlastmanagements und der Pannenbehebung geschult. Auf diese Weise baut sich nach und nach lokales Fachwissen auf. Ihr Energiemanagement verringert nicht nur die Abhängigkeit von teuren Dieselgeneratoren, sondern unterstützt auch Kleinstunternehmen wie Schneidereien, Tischlereien oder Bewässerungsdienste.
Die Abgabe des Stroms an Haushalte, Läden und Kleinstunternehmen erfolgt teils verbrauchsabhängig, teils zum monatlichen Festpreis. Mit den Einnahmen werden die laufenden Kosten gedeckt und anfallende kleinere Reparaturen bezahlt. Was übrig bleibt, fließt in die Reserven. Zu den Problemen zählen verspätete Zahlungen, Unklarheiten über die Tarife, der Bedarf an mehr technischer Weiterbildung und die Beschaffung von Ersatzteilen. Bei regelmäßigen Treffen versucht man, diese Probleme gemeinsam zu lösen.
Autor
Rishabh Jain
ist freier Journalist und Dokumentarfilmer in Indien. Er arbeitet zu Fragen der Menschenrechte, des Klimawandels und nachhaltiger Entwicklung.Die meisten von Uria Mandala verwalteten Projekte stellen Inselnetze dar, sind aber teilweise schon darauf ausgelegt, später mit dem nationalen Stromnetz verknüpft zu werden. Derzeit arbeiten sie noch unabhängig, um zuverlässig Strom in Gebieten bereitzustellen, in denen eine Versorgung aus dem allgemeinen Netz unzureichend oder unmöglich ist.
In den Bundesstaaten Uttar Pradesh und Jharkhand profitieren derzeit 12.000 Personen von den Urja-Mandala-Projekten. Von Frauen geführte Kleinstunternehmen konnten dadurch ihr Jahreseinkommen im Schnitt um 30 Prozent steigern, einige Kooperativen durch höhere Produktivität und Kostenersparnis sogar um bis zu 50 Prozent. Dass so monatlich auch an die 20 Tonnen CO2 eingespart werden können, unterstreicht das Potenzial des Projekts, einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.
Die Stromversorgung selbst in die Hand nehmen
Shrashtant Patara, Geschäftsführer von Development Alternatives, sagt: „Rani Urja Mandala Mahila Samiti ist ein glänzendes Beispiel dafür, wie Frauen auf dem Land die Stromversorgung selbst in die Hand nehmen und Unternehmen mit Energie versorgen können, die bisher auf Dieselgeneratoren angewiesen waren. Wenn dieses Modell Schule macht, könnte es die Stromversorgung in den ländlichen Gebieten Indiens völlig umkrempeln.“
Über Urja Mandala hinaus zeigt schon jetzt das Programm von Powering Livelihoods in achtzehn indischen Bundesstaaten, darunter Uttar Pradesh, Bihar, Telangana und Odisha, welch großen Einfluss dezentralisierte erneuerbare Energien auf die Lebenswelt der Menschen haben können. Diese Initiative unterstützt Unternehmen dabei, auf energieeffiziente Technik wie solarbetriebene Seidenhaspeln, Maschinen zur Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte, Dörranlagen, Solarkühlschränke, kleine solarbetriebene Pumpen und mit Biomasse als Energiequelle betriebene Kühlanlagen umzusteigen.
Im Distrikt Gonda im Bundesstaat Uttar Pradesh nutzt Shiv Kumar eine kleine, energieeffiziente Maschine, um Aloe-Vera-Saft und Rosenwasser herzustellen. Seit er die Maschine vor vier Jahren erworben hat, hat er schon über 20 Frauen darin ausgebildet. Mit seiner Frau Kusum Maurya beauftragt er eine lokale Selbsthilfegruppe damit, die Produkte herzustellen und zu verpacken, die in Läden angeboten werden. Dadurch hat sich ihr monatliches Einkommen beträchtlich erhöht.
Die Produktivität wächst, das Selbstvertrauen auch
Im Distrikt Nalgonda im Bundesstaat Telangana leitet Saidamma die Kattangur Farmer Producer Company, die sieben solarbetriebene Dörrautomaten für Zitronen, Tomaten und Kräuter angeschafft hat. Mit diesen Geräten können die Bauern ihren Saisonüberschuss zu haltbaren Trockenfrüchten, Gewürzen und Gemüseprodukten verarbeiten. Diese bringen ihnen später mehr ein und mindern so mögliche Verluste, würden die Früchte und das Gemüse verderben. Die Farmer Producer Company hat ihr Angebot zudem auf solarbetriebene Kühlanlagen, drohnengestützte Düngung und den Verleih akkubetriebener landwirtschaftlicher Geräte ausgeweitet, eine kontinuierliche Innovation, die landwirtschaftliche Existenzen sichert.
Diese Beispiele belegen, wie die dezentralen erneuerbaren Energiesysteme zu Einkommenssteigerungen und Produktivitätszuwächsen führen. Frauen, die gut 60 Prozent der befragten Nutzenden ausmachen, berichten von mehr Selbstvertrauen. Sie können neue Fertigkeiten lernen und sich stärker am öffentlichen Leben beteiligen. So wie bei Kuni Dehury aus dem Distrikt Keonjihar im Bundesstaat Odisha. Durch eine solarbetriebene Seidenhaspel, die ihr die mühsame Handarbeit abgenommen hat, konnte sie ihre Produktivität verdoppeln und ihr jährliches Einkommen um 425 Euro (44.000 Rupien) steigern.
Der weitere Ausbau dezentralisierter erneuerbarer Energien in Indien ist jedoch alles andere als einfach. Würden die bestehenden Mininetze wie gewünscht ans nationale Stromnetz angeschlossen, könnten die lokalen Unternehmen ihre Stromüberschüsse verkaufen und in Zeiten hoher Stromnachfrage über sie auch ihren Mehrbedarf decken. Dies erfordert teure Infrastruktur, moderne Messeinrichtungen und gute Regulierung, weshalb ein solcher Netzanschluss eine hohe technische und finanzielle Hürde darstellt – insbesondere für kleine ländliche Projekte dezentralisierter erneuerbarer Energie. Darüber hinaus führen die Ungewissheit über die Vorschriften, ein Flickenteppich von Verbindungsstandards und langwierige Genehmigungsprozesse nicht nur zu Verzögerungen bei der Umsetzung, sondern auch zu erhöhten Kosten.
Lokal verankerte Einkommensmöglichkeiten
Die Finanzierung stellt Kleinstunternehmen auf dem Land, denen die Banken selten Kredite gewähren, vor große Probleme. Starthilfen können zwar den Bau der Anlagen erleichtern, ihre dauerhafte Nutzung erfordert aber auch die Deckung des Kapitalbedarfs für Materialbeschaffung und den Betrieb. Damit dieser reibungslos verläuft, muss Geld für kleinere Reparaturen an den elektrischen Komponenten vorhanden sein. Alle fünf bis sieben Jahre müssen Akkus getauscht, die Wechselrichter gewartet und weitere Unkosten bestritten werden. Gezahlt werden müssen auch die Gehälter für das Personal, das die Systeme betreibt, überwacht und regelmäßig reinigt. Zudem muss die Kundenbetreuung finanziert werden, und manchmal sind noch Kredite zu tilgen. In gut geführten Mininetzen kann all dies mittels Tarifzahlungen der Verbraucher gestemmt werden. Voraussetzung ist aber, dass die Rechnungen konsequent eingetrieben werden und das Netz ausgelastet ist. Geht die Stromnachfrage zurück (beispielsweise außerhalb der landwirtschaftlichen Saison oder während des Monsuns), reichen die Einkünfte manchmal nicht aus.
Trotz dieser Herausforderungen verändern die dezentralisierten erneuerbaren Energien das Leben auf dem Land, besonders für Frauen. Eingesetzte Maschinen erlösen sie von der Plackerei der Handarbeit und lassen ihnen mehr Zeit für die Erziehung der Kinder, die Gesundheit und Teilhabe an der Gemeinschaft. Die Projekte helfen auf diese Weise, die Landflucht einzudämmen, indem sie tragfähige, lokal verankerte Einkommensmöglichkeiten schaffen. Außerdem verschafft die Kontrolle über eine saubere Energieinfrastruktur historisch benachteiligten Gruppen wie den Dalit und Bahujan einen höheren Status, mehr Autonomie und wirtschaftliche Souveränität – eine gesellschaftliche Transformation, die auch noch der Umwelt zugutekommt.
Das Einkommen von Frauen ist insbesondere durch solarbetriebene Dörrgeräte und milchverarbeitende Maschinen gewachsen – und zwar stärker als das von Männern, was belegt, dass die gezielten Investitionen in saubere Energie auch eine Gender-Dividende abwerfen. Fachleute halten es für wichtig, die nationale Energiepolitik mit Zielen der gesellschaftlichen Gleichheit zu verknüpfen.
Auf Eigenverantwortung und auf Gleichheit setzen
Die dauerhafte Akzeptanz solcher Projekte hat auch damit zu tun, dass die Nutzerinnen und Nutzer selbst Vorleistungen erbracht haben: Fast 70 Prozent von ihnen haben zum Start eigenes Geld in die Technologien investiert, was das Verantwortungsgefühl fördert. Dies stellt die These infrage, dass Projekte für saubere Energie im ländlichen Raum nur über vollständige Subventionierung realisierbar sind. Wichtiger wäre, auf ihre wirtschaftliche Tragfähigkeit zu achten, die durch erschwingliche Kredite unterstützt werden kann.
Dieser lokale Weg könnte auch global beschritten werden. Während Indien anstrebt, bis 2070 das Ziel der Netto-Null-Emissionen zu erreichen, stellen inklusive Energiemodelle wie Urja Mandala und Powering Livelihoods Mustervorlagen für eine gerechte Energiewende in der ganzen Welt dar. Sie zeigen, dass Energielösungen für eine resiliente Zukunft, die auf die Eigenverantwortung von Gemeinschaften und auf Gleichheit setzen, möglich sind.
Aus dem Englischen von Thomas Wollermann.
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