USAID wurde im Juli 2025 offiziell aufgelöst, und auch europäische Länder kürzen ihre Entwicklungshilfe und machen Rückzieher etwa bei Zusagen für Klimafinanzierung. Erleben wir einen grundlegenden Wandel in den Nord-Süd-Beziehungen?
Ja. Europa ist den USA in der Vergangenheit in vielen Punkten gefolgt. Jetzt ist das Verhalten der USA für viele europäische Staaten eine Entschuldigung, ihre eigenen Zusagen gegenüber dem globalen Süden nicht einzuhalten – zum Teil, damit es nicht so aussieht, als wären sie im Konflikt mit den USA, und zum Teil, weil sie selbst Budgetprobleme haben. Zwar beteuern Teile der politischen Eliten, dass sie weiter zum Multilateralismus stehen. Aber mir scheint, bei der Finanzierung für Entwicklungsländer hat eine Periode der Ungewissheit und der Verschiebungen begonnen. Allerdings trägt Entwicklungshilfe in Südostasien, wo ich herkomme, nicht bedeutend zur Volkswirtschaft bei – von Ausnahmen wie einigen Sektoren auf den Philippinen abgesehen. Länder wie Thailand, Malaysia und Indonesien finden, sie brauchen diese Hilfe nicht mehr. Die Kürzungen treffen Afrika härter. Nicht so sehr Nahost, hier ist das Hauptproblem der Umgang mit militärischer Macht und Gewalt.
Hat die Verschiebung im Nord-Süd-Verhältnis Sie überrascht?
Nein, sie hatte sich abgezeichnet. Auf der einen Seite sind die Länder Europas mit der Finanzkrise von 2007/2008 in eine Wirtschaftskrise geraten und erschienen mit einem Mal ökonomisch verwundbar. Auf der anderen Seite ist China in den vergangenen 15 Jahren zu einem bedeutenden Geber für Hilfe und für Entwicklungskredite geworden. China Incorporated ist heute der größte Entwicklungsfinanzierer der Welt. Viele Länder im Süden, auch afrikanische, haben damit jetzt eine Alternative, sich zu finanzieren, ohne den Auflagen der Weltbank und des IWF zu unterliegen, die beide stark unter westlichem Einfluss stehen.
Die USA haben auch in der Außen- und Handelspolitik eine Kehrtwende vollzogen, die die westlich dominierte Weltordnung erschüttert. Wie deuten Sie das?
Ich habe über die Jahre verfolgt, wie der Aufstieg Chinas zur industriellen Großmacht mit der Deindustrialisierung der USA einhergegangen ist. Die US-Regierungen vor Trump wollten nicht wahrhaben, dass sich die wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse veränderten. Die demokratische wie die republikanische Partei gingen von einer irgendwie gearteten Partnerschaft zwischen den USA und China aus, trotz vieler Konflikte in einzelnen Punkten. Die erste Regierung Trump hat das ab 2016 geändert und China als Gegner, als Antagonist definiert.
Und das Verhältnis zwischen den USA und China bestimmt, wohin der globale Umbruch führt?
Im Moment scheint es der wichtigste Faktor zu sein. China hat lange vermieden, den Eindruck zu erwecken, es wolle die USA ersetzen. Jetzt aber hat die chinesische Führung begriffen, dass sie nicht länger unter dem Radar fliegen kann. Sie erkennt ein politisches, ökonomisches und militärisches Führungsvakuum und weiß nicht recht, wie sie damit umgehen soll.
Trumps Außenpolitik erscheint inkonsistent und sprunghaft. Steckt eine Strategie dahinter?
Trump fährt einen Zickzackkurs. Doch die Grundlinie scheint die Abkehr von der von Demokraten und Republikanern geteilten Auffassung der vergangenen 80 Jahre zu sein, dass die USA Herausforderungen ihrer wirtschaftlichen und politischen Macht überall auf der Welt angehen müssen. Trump scheint begriffen zu haben, was den anderen entgangen ist: Die USA haben ihre Macht überdehnt. Deshalb ziehen sie sich jetzt auf Nordamerika zurück. Trumps Basis, die MAGA-Bewegung (Make America Great Again), ist rassistisch, ethnozentrisch und in vieler Hinsicht reaktionär, aber in der Außenpolitik gegen Interventionen anderswo in der Welt. Führende Ideologen wie der rechte Publizist Steve Bannon, Vizepräsident J. D. Vance und Trumps Berater Peter Navarro schauen nach innen nach dem Motto: Je weniger wir uns in der Welt engagieren, desto besser. Trump behält sich das Recht vor, zuzuschlagen wie jetzt im Iran, aber er will jede eigene Verpflichtung vermeiden, etwa Truppen oder US-amerikanisches Geld einzusetzen.
Die Regierung Trump will aber auch US-Konzernen, insbesondere den Tech-Giganten, Geschäfte und Einfluss im Rest der Welt sichern. Müssen sich Entwicklungsländer demnächst entweder einem US-amerikanischen oder einem chinesischen digitalen Imperium anschließen?
So scheint es. Und ich halte die Institutionen in China für viel besser vorbereitet auf die nächste Phase des globalen ökonomischen Wettbewerbs als die in den USA. Denn die Kooperation zwischen Staat und Unternehmen ist in China viel weiter entwickelt. In den USA hat der Staat in dreißig, vierzig Jahren des Neoliberalismus den Finanzinvestoren und den IT-Konzernen freie Hand gelassen und sich aus entscheidenden Regulierungsfunktionen in der Ökonomie zurückgezogen – sogar aus Sozialdiensten, die für die Legitimation der Gesellschaftsordnung wichtig sind. Jetzt ist der Staat nicht in der Lage, die Firmen zu zähmen. Die MAGA-Bewegung möchte das ändern, aber das wird sehr schwierig. Der US-Staat braucht aber eine aktive Industriepolitik, um im globalen Wettbewerb führend zu bleiben. In China hat der Staat gegenüber den Firmen das Kommando. Er kann Innovationen anregen und sie zugleich auf die von der Politik gesetzten Prioritäten verpflichten. Deep Seek, die kürzlich in China entwickelte KI, hat klar gezeigt, dass diese Kooperation von Firmen und Staat zu Innovationen führen kann, mit denen niemand gerechnet hat.
Erkennen Sie hinter Trumps Zollpolitik einen Plan für den globalen Wettbewerb?
Nein. Die Hauptabsicht ist, Importe zu erschweren, um US-Kapital zurück ins Land zu holen. Auch wenn das Verwerfungen in den globalen Lieferketten bedeutet, die sogar US-Firmen schaden. Deshalb halten Ökonomen diese Politik für verrückt. Durchdacht ist sie nicht, und manchmal verkündet Trump nur Positionen für Verhandlungen. Aber die Zölle kommen bei seiner Basis gut an. Peter Navarro macht in seinen Schriften die großen Konzerne genauso wie China für die Krise der USA verantwortlich. Er und Trump denken, wenn sie Importe erschweren, können sie die industrielle Basis des Landes wiederaufbauen.
Schadet das vielen Entwicklungsländern?
Natürlich. Aber viele im Süden denken, dass sie mit Trump verhandeln und mit einigen Zugeständnissen einen Modus Vivendi erreichen können. Ich habe da aber wenig Hoffnung. Es mag immer wieder Deals geben, aber ich halte den Trend, dass die USA sich auf sich selbst zurückziehen, für vorherrschend und dauerhaft. Südkorea und Japan versuchen, die USA als Gegengewicht zu China in der Region zu halten. Ich denke aber, das wird auf Dauer nicht gelingen. Trump hätte trotz der wirtschaftlichen Probleme mit China gern ein politisches Arrangement mit Xi Jinping.
Mit dem Ergebnis, dass die Supermächte die Welt in ihre Einflusssphären aufteilen?
Ja. Aber man darf sich eine Neuordnung nicht als geradlinigen Prozess vorstellen. China zögert, die Rolle als globale Führungsmacht zu übernehmen, aus der die USA sich zurückziehen. Unter anderem weil dies die Haltung des globalen Südens zu China verändern würde. Und die für eine Rolle als Hegemon nötigen Institutionen wie die New Development Bank und Arrangements der chinesischen Zentralbank mit anderen Zentralbanken sind noch unterentwickelt. Ob China die Leerstelle füllt oder die Entwicklung auf eine Welt mit mehreren Zentren zuläuft, ist offen. Ich denke, sie werden zu Letzterem neigen.
Bringt das für andere Entwicklungsländer Chancen, mehrere Großmächte gegeneinander auszuspielen, oder die Gefahr, sich unterordnen zu müssen?
Beides. Sie können versuchen, mehr Zugeständnisse von dominierenden Staaten herauszuholen. Gleichzeitig hat die alte multilaterale Ordnung zwar den Süden stark benachteiligt, aber ihr Ende ist trotzdem beunruhigend. Jetzt möchten immer mehr Staaten im Süden sich der BRICS-Gruppe anschließen, die bis 2025 aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika bestand. Aber ich glaube nicht, dass BRICS eine globale Ordnung hervorbringen kann oder will. Die jetzt zehn Mitgliedsländer haben ihre eigenen Probleme und Konflikte untereinander. Sie sind eine Mischung aus autoritären und formal demokratischen Staaten, und die meisten wollen an den internationalen Gepflogenheiten festhalten, die sie gewohnt sind.
Sie haben Jahrzehnte lang kritisiert, dass die von Westen geführte Weltordnung und ihre Institutionen wie die Welthandelsorganisation Entwicklungsländer krass benachteiligen. Jetzt wollen Staaten des Südens diese Ordnung verteidigen?
Ja, das ist in vieler Hinsicht widersprüchlich. Aber wir befinden uns in einer Phase des Wandels, der Ungewissheit und in gewissem Maße der Verwirrung. Die Weltordnung, die auf der Macht der USA beruht hat, ist auf dem Rückzug. Viele Entwicklungsländer müssen sich daran noch gewöhnen, auch wenn viele bereits China und den BRICS Avancen gemacht haben. Sie hatten ein sehr schwieriges Verhältnis zur vom Westen geführten Weltordnung, aber damit kennen sie sich auch aus, und was neu entsteht, können sie nicht einschätzen.
Aber setzen sie jetzt mehr als vorher auf eine vom Staat gelenkte Entwicklung?
Ja. Viele im globalen Süden sehen China nun auch als Modell. Dass es ein totalitärer Staat ist, ist für sie weniger wichtig, als dass China laut den Statistiken der Weltbank die Armut beseitigt hat. Die Entwicklung dort ist ja auch beeindruckend. China hat in nur ein paar Jahren die am weitesten entwickelte Eisenbahn-Infrastruktur der Welt aufgebaut. Dass vom Staat gelenkte Entwicklung die Zukunft ist, wird im Süden mehr und mehr akzeptiert.
Wie realistisch ist das für Länder, in denen der Staat viel schwächer ist als in China, oder die hoch verschuldet und von Rohstoffexporten abhängig sind – etwa in Afrika?
Viele Länder im Süden haben in der Tat große Schwierigkeiten, das Modell in die Praxis umzusetzen. Aber es gilt mehr und mehr als Modell der Wahl – unabhängig vom ökonomischen und politischen System im jeweiligen Land. Es ist eine Vision. Wo und wie es tatsächlich funktionieren kann, ist eine andere Frage. Die Attraktivität das neoliberalen Entwicklungsmodells ist jedenfalls im Süden vorbei.
Bisher haben die USA und Europa auch Demokratie und Menschenrechte propagiert und in vielen Ländern gefördert. Ist es ein Verlust, dass dies nun eingeschränkt wird?
In meiner Heimat, den Philippinen, ist es für die, die sich wie ich für eine liberale und demokratische Ordnung einsetzen, ein ernster Verlust. Andere Teile der Bevölkerung fanden allerdings das Maß der westlichen Heuchelei bei der Propagierung von Menschenrechten immer sehr groß; auch in nicht autoritären Staaten hat sich da ein gewisser Zynismus breit gemacht. So findet ein Teil der Bevölkerung – zu dem gehöre ich – es gut, dass dem früheren philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte jetzt vor dem Internationalen Strafgerichtshof der Prozess gemacht wird. Das müsste Leuten wie ihm viel öfter passieren. Aber ein anderer, großer Teil der Gesellschaft sagt, die Demokratie funktioniere nicht länger, und unterstützt Duterte. Seine Tochter könnte die nächste Präsidentin werden. Generell wird im globalen Süden ambivalent gesehen, dass die USA nicht länger Demokratie und Menschenrechte zumindest predigen. Einige betrachten es als Verlust, andere sehen es mit Zynismus und wieder andere als erfrischend, dass die Heuchelei zu Ende ist. Ich selbst denke, dies ist in gewisser Weise gut. Gleichzeitig ist es aber umso wichtiger, dass wir jetzt Menschen von demokratischen Normen überzeugen. Das sollten wir nicht davon abhängig machen, ob eine Supermacht sich dafür einsetzt.
Sollten Südländer stärker versuchen, UN-Menschenrechtsinstitutionen zu erhalten?
Unbedingt. Die Entwicklungsländer haben sich seit langem für die UN und ihre Agenturen eingesetzt. Das geht bis auf die Erklärung der ersten Konferenz afrikanischer und asiatischer Staaten in Bandung 1955 zurück: Die trat nicht einfach für die Dekolonisierung ein, sondern auch für die Menschenrechte und die UN-Charta.
Sind nicht viele Länder im Süden gegen Einmischung, auch von den UN, zugunsten der Menschenrechte?
Sicher. Uns ist schon klar, dass viele Staaten im Süden, auch die der BRICS, sich überhaupt nicht entsprechend der Bandung-Deklaration verhalten. Wir müssen sie aber daran erinnern, dass sie sich darauf verpflichtet haben – gerade jetzt, wo es um eine neue Weltordnung geht.
Erwarten sie noch bedeutende Hilfe aus Westeuropa beim Einsatz für Freiheit und Menschenrechte?
Nein. Wenn wir mit Staaten, welchen auch immer, zusammen für Menschenrechte eintreten können, tun wir das natürlich. Aber da ist von Europa nicht mehr zu viel erwarten. Europa hat demokratische Institutionen. Wer als Südostasiate relativ frei von politischer Kontrolle leben möchte, muss nach Europa gehen. Das Problem ist aber, dass Europa uns nicht haben will, es schottet sich ab. Zudem ist Europa nicht wirklich von den USA unabhängig – was sich vielleicht jetzt ändert. Und auch in Europa wird die extreme Rechte stärker, die ähnlich selbstbezogen ist wie die in den USA. Ich verlasse mich mehr auf Gruppen der Zivilgesellschaft. Ich habe dreißig Jahre mit solchen Gruppen in Europa und den USA gearbeitet und sehe die internationale Zivilgesellschaft als eigenen Akteur, unabhängig von den Staaten. Allerdings sind leider die progressiven Kräfte in Europa und den USA im Zuge der Krisen der vergangenen Jahrzehnte auch schwächer geworden.
Das Gespräch führte Bernd Ludermann.
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